Glaube und Zweifel sind notwendig
Wenn wir uns in der Welt bewegen wollen müssen wir uns trauen. Trauen heißt im
wesentlichen: glauben. Wir glauben an unserer Boten zur Außenwelt, die
Sinne. Wir glauben an die Bilder der Welt, die wir ererbt haben. Wir glauben
an Theorien über die Welt, an Karten, die gezeichnet
wurden. Columbus glaubte an die Kugelgestalt der Erde. Er
glaubte daran, dass der nächste Kontinent im Westen Indien sei. Wandern wir,
um Altes und Neues zu sehen, so vertrauen wir auf Wegweiser auf Kompass
Karten, auf das GPS System.
Erkenntnisse sind nur möglich, wenn wir glauben. Im Mittelalter hat der
Benediktiner Anselm von Canterbury dies kurz und klar ausgedrückt Credo ut intelligam
Ich glaube, damit ich erkenne.
Das ist aber nur eine Seite eines Wechselspiels. Oft berichten verschiedene
Zeugen Unterschiedliches. Die Augen sehen anderes als die Ohren
hören. Dann sollte die Vernunft entscheiden. Herrscht im Parlament der Sinne,
der Gene im biologischen Erbe und in den überlieferten Theorien keine
Einigkeit, so zweifelt die Vernunft. Widerspricht die Erfahrung dem, was meine
biologischen oder wissenschaftlichen Eltern lehrten, so wird der Nachdenkliche
an der Erfahrung oder der Theorie zweifeln. Auf jeden Fall wird
gezweifelt. Nur durch den Zweifel bekommen wir Gelegenheit Theorie oder
Erfahrung zu verbessern.
Ich möchte im Folgenden Theorien und Sätze aufgreifen, die geglaubt, die
bezweifelt und wieder geglaubt wurden. Wunderschön verdichtet Matthias
Claudius in der dritten Strophe des Liedes „`Der Mond ist aufgegangen“‚ die
Notwendigkeit von Glauben.
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen
weil unsere Augen sie nicht sehen.
Woher wissen wir, dass der Mond rund ist? Wir haben eine runde Scheibe am
Nachthimmel gesehen. Andererseits haben wir an der Stelle einen hellen Halbkreis, eine Sichel
nichts gesehen. Wir glauben einer Theorie, die diese verschiedenen Erscheinungen
auf einem gemeinsamen Hintergrund zurückführt. Ich meine die wenigstens können
diese Theorie tatsächlich erklären.
Eine Liste von Glaubenssätzen. Manches stammt aus dem Buch von Wilhelm
Capelle: „Die Vorsokratiker“
Der Glaube an den Urstoff Wasser
Thales glaubte daran, dass alles aus dem Wasser entstanden sei. Diesen Glauben teilt heute wahrscheinlich keiner mehr. Aber ist der Glaube an den Urstoff Wasserstoff etwas wesentlich anderes? Wenn ja in welchem Sinne?
„Thales behauptet, die Erde werde von Wasser getragen. Sie werde wie ein
Schiff bewegt, und infolge der Beweglichkeit des Wassers schwanke sie dann,
wenn die Leute sagen sie erbebe.“ Siehe hierzu zum Beispiel den Eintrag in Wikipedia. Ob das wohl heute noch einer
glaubt. Aber es ist eine Theorie, die verbessert wurde. Die Geologen
behaupten, die Erde habe einen flüssigen Kern. Sollen wir ihnen
glauben? Wenn wir keine Gründe dagegen haben, ist zweifeln nicht angebracht.
Glaube an die Seelenwanderung
Pythagoras soll zu einem Mann, der einen Hund geschlagen hat gesagt
haben „Hör auf und schlag das Tier nicht! Es ist ja die Seele eines
befreundeten Mannes, die ich wieder erkannte, als ich ihn winseln
hörte“. Pythagoras glaubte an die Seelenwanderung. Dieser Glaube ist bisher
noch nicht verschwunden. Können wir hier zwingende Gegengründe angeben? Ich kann mir
nicht recht vorstellen wie ein Argument Contra oder Pro aussehen sollte. Diese Frage ist bis heute offen.
Glaube an die ewige Wiederkehr des Gleichen
„Anaximandros erklärte, dass das Vergehen und viel früher das
Entstehen erfolge, indem sie die Welten alle seit unendlicher Zeit
periodisch wiederkehrten.“ Anaximandros glaubte an die ewige Wiederkehr des Gleichen. Nietzsche hat daraus ein Riesentheater gemacht. So als ob ihm dem erleuchteten Guru dieser Gedanke zum ersten Mal erschienen sei. Die These von der ewigen Wiederkehr wird immer offen sein. Denn wenn wirklich das kleinste Detail wiederkehrt, so kann man die Zustände nicht unterscheiden.
Zweifel an: „Alles ist Zahl“.
Dies war ein Grundsatz der Pythagoräer. Zahlen waren für sie nur natürliche Zahlen und Brüche.
Hippasos bezweifelte dies. Er entdeckte, dass im regulären Fünfeck Seite und Diagonale sich nicht rational verhalten.
Man vermutet er habe dafür schon einen Beweis gehabt. Dies ist ein Beispiel, wo der Zweifel an mathematischen Sätzen
zu einer großen Entdeckung führte. Einige Philologen behaupten:
Pythagoras hat gar nicht diese Dogma behauptet. Dazu gibt es verschiedene Auffassungen siehe hierzu
den entsprechenden Wikipedia Eintrag. Aber darum geht es nicht.
Die Frage ist bis heute: Kann jede Wirklichkeit gemessen werden.
Wenn ja kann alles als Verhältnis natürlicher Zahlen ausgedrückt werden.
Wenn alles gequantelt ist, sollte dies der Fall sein. Aber Hippasos oder ein anderer haben gezeigt, dass
dann schon das Verhältnis von Seite zur Diagonale im regulären Fünfeck nicht ausdrückbar ist.
Eine Variante des Beweise zu dieser Behauptung findet man in der Datei Golden.pdf
Leute, die nur rationale Zahlen zulassen können daher Strecken nicht messen.
Es gibt verschiedene Haltungen zu dem Grunddogma „Alles ist Zahl“. Die Griechen entdeckten, dass es Dinge in der Geometrie
gibt, die mit ihrem Zahlverständnis nicht verstehbar sind. Also legten sie dieses Dogma eine Weile auf die Seite und machten
zeitweise nur noch Geometrie.
In der neueren Mathematik erfand, oder entdeckte man neue Zahlen.
Die reellen Zahlen wurden „gesehen“ mit ihnen gerechnet und schließlich im 19ten Jahrhundert durch Dedekind und Cantor
auf die Theorie der natürlichen Zahlen zurückgeführt. Das heißt ein widerlegtes Dogma wurde wieder fruchtbar,
indem man den Begriff Zahl nicht mehr so eng auslegte. Jetzt ist vieles Zahl, was die antiken
Mathematiker noch nicht als Zahl erkannt hatten.