Aristoteles lehnte die Unendlickeit des Universums entschieden ab. Für ihn befand sich die existierende Welt innerhalb der äußersten Kristallschale, an der die Fixsterne hingen. Da draußen war so viel Nichts, so dass es sogar kein Draußen mehr gab. Die Welt als ganzes war vollkommen. Ohne Grenzen zu sein, war ein Mangel, es mangelte an Grenzen. Ein vollkommenes Ding hat auch eine Grenze. Natürlich wusste auch er, dass man zumindest in der geistigen Welt stets Neuland betreten kann. Daher erfand er den seltsamen Begriff der ,,potentiellen Unendlichkeit``. Das ist eine Unendlichkeit, die nicht tatsächlich vorhanden ist, sondern immer im Entstehen begriffen ist. Der aktuellen Unendlichkeit verweigerte er das Dasein. Noch Karl Friedrich Gauß war so der Autorität des Aristoteles hörig, dass er ,,zuförderst gegen den Gebrauch des aktuell Unendlichen protestierte`` . Als Anfang des 20ten Jahrhunderts die Widersprüche in der noch jungen Mengenlehre auftauchten fiel auch Mathematikern vom Schlage Poincarés nichts bessers ein als den guten Aristoteles wieder hervorzuzerren: Er meinte ,,Es gibt kein aktual Unendliches, das haben die Cantorianer vergessen, und haben sich in Widersprüche verwickelt``(zitiert nach [HM91, Seite 447]
Der antike Philosoph und Dichter Lukrez (ca 96 bis 55 v.Chr) widersprach heftig Aristoteles.
heftig. Er meinte: ,,Zeig mir lieber Aristoteles Deine Weltgrenze. Ich will hingehen mich auf die Grenzmauer stellen und meinen Speer werfen. Wohin fliegt er. Wird er zurückgeworfen oder fliegt er über die Grenze? Was geschieht mit dem Speer. Mit dieser Frage will ich dich verfolgen, bis du mir eine einleuchtende Antwort geben kannst.``Auch Aurelius Augustinus verteidigte das aktual Unendliche mit Leidenschaft. Er braucht in seiner Argumentation gegen die ewige Wiederkehr des Gleichen eine unendliche Welt. Eine schöne Legende erzählt: Sinnend spazierte er morgens am Ufer des Meeres und sieht er einen Knaben am Ufer spielen. Mit einer Muschel füllte er aus dem Meer Wasser in ein kleines Loch. Augustinus fragte ihn. ,,Was machst du da¿` ,,Ich schöpfe das Meer aus``. Augustinus lachte und meinte das Kind belehren zu müssen. Der Junge aber sagte: ,,Eher hat das Meer in dieser Kuhle Platz, als dass du die Unendlichkeit Gottes verstehst.`` Die Methode des Ausschöpfens wird uns noch beschäftigen.
Thomas von Aquin hielt an Lehre seines Meisters Aristoteles fest. Meiner Meinung nach hauptsächlich deswegen, weil in einer endlichen Welt die Methode des Abstiegs so gut funktioniert. Alles was ist, hat ein Ursache. Diese ist wieder verursacht. So erhalten wir eine absteigende Kette von Ursache und Wirkung. In einer endlichen Welt muss jede solche Kette abbrechen. Es gibt einen Erstverursacher. Dies ist Gott. Der Beweis klappt aber nur in einer endlichen Welt.
Giordano Bruno ließ sich für die Unendlichkeit des Universums foltern und verbrennen. Er griff das Argument von Lukrez wieder auf und fragte. ,,Wenn die Welt endlich ist und außerhalb nichts, wo ist dann die Welt. Hängt sie im Nichts? Wo ist die Hand die ich über den Rand des Universums hinaus ausstrecke? ``.
Verrückte oder scheinbar verrückte Fragen wurden im Zusammenhang mit der
Unendlichkeit beredet.
Engel sind Geister.
Wem Engel zu transzendent sind, ersetze sie durch Punkte.
Sie dehnen sich nicht wie Körper räumlich aus.
Der wissensdurstige Scholastiker fragt sich: ,,Wieviel Engel haben auf einer
Nadelspitze Platz¿`
Oder wieviel Engel können von der Decke des Brautzimmers in der ,,Camera degli
Sposi`` den jungen Eheleuten
bei ihrem vergnüglichen Tun zuschauen?
Eine Nadelspitze hat eine gewisse Breite etwa
mm. Angenommen auf dieser
Nadelspitze haben
solcher Wesen Platz. Dann können sich doch auf
m sicher
dieser transzendenten Wesen lagern. Aber der Strahlensatz belehrt uns
eines besseren. Offensichtlich gibt es zu jedem Punkt des
m genau einen
Punkt des
mm. Also ist
. Es folgt daraus
. Für Heiden, die
sowieso nicht an Engel glauben, ist dies nicht absurd. Aber die sollten ja
Punkte betrachten. Dass aber kein Punkt auf einem
m Stab liegen soll, ist
mit Sicherheit noch absurder. Daher muss die Vorausetzung falsch sein: Es gibt
eine bestimmte Zahl von Punkten auf einer Strecke.
Es ist nicht alles durch Anzahlen meßbar, wie der weise Pythagoras lehrte.
Halten wir nochmal in moderner Sprechweise fest:
Noch krasser -schokierender- wurde diese Erkenntnis mit der Entdeckung der Perspektive zu Beginn der Renaissance unter anderen beispielsweise von Mantegna (1431 bis 1506).
Betrachten wir die folgende Situation.
Jedem Punkt der Halbgeraden entspricht genau ein Punkt der ,,Leinwand``. Das heißt
auf der Leinwand sind genau so viele Punkte, wie auf der ganzen Halbgeraden. Es
gibt eine injektive Funktion von der ganzen Geraden in eine Strecke. Oder
wieder: Es gibt eine injektive Funktion von der Geraden in die Gerade welche
nicht surjektiv ist. Roger Bacon,
Wilhelm von Ockham
und Nikolaus von Oresme
haben solche Fragen im ,,finstern Mittelalter`` bedacht [Dei04, Seite
68].
Sehr viel später betrachte Galilei
die Quadratfunktion.
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. Er wunderte sich
darüber dass sie injektiv, aber nicht surjektiv ist. Dies heißt doch in einem
gewissen Sinn, dass es genausoviel Quadratzahlen wie natürliche Zahlen
überhaupt gibt.
Schließlich systematiesierte Bernhard Bolzano
in seiner Schrift ,,Paradoxien
des Unendlichen`` diese Wunder.
Erst Richard Dedekind
griff in seiner Schrift ,,Was sind und was sollen die
Zahlen`` diese Eigenschaft auf und erklärte:
Eine Menge
heißt unendlich, wenn es eine injektive
Funktion von
nach
gibt, welche nicht surjektiv ist.
Dabei heißt eine Funktion von
nach
injektiv,
wenn bei jedem Element
aus
höchstens ein Pfeil endet. Die Funktion heißt
surjektiv,
wenn bei jedem Element aus
mindestens ein Pfeil endet.
Bis dahin war das Wort ,,Unendlichkeit`` nur mit einer Fülle unklarer
Vorstellungen verbunden. Dedekind verband das Wort mit einem klaren Begriff.